Vis á vis: Theater und Kirche wieder im Gespräch
Am 25.09. feiert das Theaterstück „Onkel Wanja“ Premiere im Landestheater Detmold. Sie haben also einige Möglichkeiten, die Inszenierung zu sehen, bevor sich am 01.11.2020 um 10 Uhr in der Erlöserkirche Theater und Theologie treffen, um gemeinsam auf Tschechows Stück zu schauen. Aber worum gehts? Onkel Wanja kümmert sich seit Jahren mit seiner Nichte Sonja hart arbeitend um das Landgut seiner verstorbenen Schwester. Die erarbeiteten Einnahmen werden pflichtbewusst an den verehrtenSchwager, Kunstprofessor Serebrjakow, in die Stadt geschickt. Als dieser in den Ruhestand tritt und mit seiner neuen, jungen Frau Jelena auf das Gut zurückkehrt, gerät die gewohnte Ordnung aus dem Takt. Wanja muss erkennen, dass der aus der Ferne bewunderte Professor aus der Nähe betrachtet doch kein so kluger Kopf ist. Dafür ist seine Frau allerdings umso schöner. Kaum angekommen, buhlen Wanja und der Arzt Astrow, Sonjas heimlicher Schwarm, um die Gunst Jelenas und plötzlich stehen alle vor der Frage: Gibt es in meinem Leben noch neue Horizonte zu entdecken oder wurden alle Weichen bereits unwiderruflich gestellt? Im Anschluss an den Gottesdienst gibt es die Möglichkeit zum Nachgespräch in der Kirche. Mitglieder aus dem Ensemble und die Dramaturgin Sophia Lungwitz werden anwesend sein.
Mareike Lesemann
„Der Wildschütz“ war Thema im Gottesdienst in der Erlöserkirche am Markt
Detmold. Der Theater-Betrieb ruht noch, Gottesdienste werden seit einigen Wochen wieder gefeiert – unter Schutzmaßnahmen. Die Reihe der „Vis-à -vis“. Abends ins Theater – morgens in die Kirche“ wurde zu Pfingsten fortgesetzt: In der evangelisch-reformierten Erlöserkirche am Markt ging es um die Oper „Der Wildschütz“ von Albert Lortzing.
Eigentlich stünde die Oper aktuell auf dem Spielplan des Detmolder Landestheaters. Landestheater-Dramaturgin Elisabeth Wirtz war mit Simone Krampe in der Kirche dabei – die Sopranistin intonierte auch stellvertretend für die Gemeinde mit Christian Reinschmidt an der Orgel Pfingstchoräle.
Kongenial begleitet von Pianist Youngtae Park verzauberte Simone Krampe die Gottesdienstbesucher mit der Arie der Baronin „Aus des Lebens raschen Wogen“ des ersten Opernaktes, in der die Baronin ihren „Witwenstand“ lobt.
Pfarrer Burkhard Krebber begrüßte die Gottesdienstbesucher mit dem Hilfeschrei „I can‘t breathe“ (Ich kann nicht atmen) des Afroamerikaners George Floyd, der von einem weißen Polizisten in Minneapolis mit dem Knie auf der Kehle erstickt wurde. Pfarrer Krebber ging in seiner Pfingstpredigt weiter auf das Thema Atemluft ein: Corona-Opfer kämpften mit Atembeschwerden und die Pandemie nehme die Luft zum Atmen, indem sie wirtschaftliche Grundlagen und persönliche Freiheiten einschränke.
Im Bereich der Kunst würden passend zu Pfingsten zwei Musiker des Landestheaters das künstlerische Schweigen brechen. Pfingsten gebe neuen Lebensatem und eine frische Brise: „Wir feiern den Geist, der von Gott kommt und uns stärkt; wir feiern die Geburtsstunde der Kirche mit einem himmlischen Wind, der uns aufatmen lässt.“
Elisabeth Wirtz betonte, dass das Theater neben der Kirche der Ort sei, wo intensiv über Grundbedürfnisse und den Sinn des Lebens nachgedacht werde. Lachen und Weinen, Streiten und Lieben benötigten Atem. „Wir dürfen im Moment nicht mehr atmen. Das ist eine gefährliche Situation fürs Theaterleben.“ Die Oper „Der Wildschütz“ handle als Verkleidungs- und Verwechslungskomödie von Menschen, die ihre Grundwerte verloren hätten. „Jeder will etwas anderes sein, als er ist. Die Oper stellt humorvoll die ethische Frage nach der wahren Liebe und dem, was richtig und falsch ist. Sie bietet einen Freiraum, auszudiskutieren, was im Leben wichtig und für den Menschen systemrelevant ist, ohne dass ein bewaffneter Ordnungshüter einem am Hals sitzt und die Luft zum Atmen nimmt.“ Daher müsse man gerade in Krisenzeiten am Spielort Theater festhalten.
Albert Lortzing (1801-1851) lebte in der Umbruchzeit des Vormärz, die viele traditionelle Werte in Frage stellte. Von 1826-1833 gehörte das junge Berliner Ehepaar Lortzing dem Hoftheater in Detmold an.